Westliche Konzerne ziehen sich aus russischem Gas- und Ölgeschäft zurück - Total und Chevron bleiben vorerst
Gasleitungen in Erdsee, Deutschland | Bild: Quinten de Graaf - Unsplash
In den letzten Tagen lieferten sich westliche Öl- und Gaskonzerne einen regelrechten Wettlauf, sich als Reaktion auf Putins Einmarsch in der Ukraine aus ihren russischen Anlagen zurückzuziehen. Dieser Schritt wurde mit Beifall begrüßt, kam aber nach Ansicht vieler zu spät. Schließlich haben westliche Öl- und Gasunternehmen der russischen Wirtschaft jahrelang Kapital zur Verfügung gestellt. Ohne die Warnsignale zu beachten hielten die Konzerne weiterhin riskante Anlagen . Nicht einmal die illegale Annexion der Krim im Jahr 2014 und die daraufhin von den USA und der EU verhängten Sanktionen[1] lösten einen Rückzug aus dem russischen Öl- und Gasgeschäft aus. Diese Fortsetzung des „Business as usual“ mit der russischen Ölindustrie hat maßgeblich zur Finanzierung des Krieges gegen die Ukraine beigetragen, der bereits Tausende zivile Opfer gefordert hat.
Unter den ersten Ölkonzernen, die ihren Rückzug aus Russland nach jahrzehntelangen Investitionen angekündigt haben, sind BP, sein größter Konkurrent Shell, der amerikanische Riese ExxonMobil und das norwegische Unternehmen Equinor. Der britische multinationale Konzern BP PLC (BP) hat vor kurzem seine Absicht bekannt gegeben, als Reaktion auf den Einmarsch Russlands in der Ukraine alle Verbindungen zu Russland abzubrechen. In diesem Zuge plant BP, seine 19,75-prozentige Beteiligung an der russischen Ölgesellschaft Rosneft zu veräußern, was einem Drittel der Öl- und Gasproduktion von BP entspricht[2],[3]. Mehrheitseigentümer von Rosneft ist die russische Regierung über ihre Holdinggesellschaft Rosneftegaz[4]. Weitere Details darüber, wann und wie dies umgesetzt werden soll, wurden jedoch noch nicht bekannt gegeben. Dies stellt eine durchaus positive Entwicklung dar, die ein starkes Beispiel für andere westliche Unternehmen setzt - auch über den Gas- und Ölsektor hinaus. Rosneft selbst fiel in der Vergangenheit bereits durch eine Vielzahl von Skandalen auf, darunter etwa eine beunruhigend hohe Zahl von Ölaustritten pro Jahr[5] und ein schwerwiegender Verstoß gegen die Antimonopolgesetze im Jahr 2009[6]. Darüber hinaus wurde Rosneft 2014 von der EU mit Sanktionen belegt[7]. Der russische Ölriese hat sich also wiederholt als besonders riskante Investition erwiesen, sodass man sich fragen muss, warum BP nicht früher reagiert hat.
Auch Shell, der größte Konkurrent von BP, hat in den letzten Jahren keine Gelegenheit ausgelassen, Geschäftspartnerschaften in Russland einzugehen. Das Unternehmen ist mit 27,5% an dem von Gazprom betriebenen Öl- und Gasprojekt Sachalin-2 beteiligt, das über eine Kapazität von mehr als 11 Millionen Tonnen Flüssiggas verfügt[8]. Außerdem ist Shell eines der fünf Unternehmen, die 50% der Nord Stream 2-Gaspipeline von Gazprom nach Europa finanziert haben[9]. In einer Mitteilung vom 28. Februar erklärte sich Shell bereit, aus diesen Partnerschaften auszusteigen, ebenso wie aus seiner „ 50-prozentigen Beteiligung an der Salym Petroleum Development und dem Gydan Energy Venture“[10]. Der Ölgigant schien diese Selbstverpflichtungen jedoch nicht sofort umzusetzen: Berichten zufolge kaufte Shell einige Tage später 100.000 Tonnen russisches Rohöl zu einem niedrigen Preis, was zunächst heftige Kritik hervorrief und später zu einer öffentlichen Entschuldigung führte[11].
Die ExxonMobil-Tochtergesellschaft Exxon Neftegas plant ebenfalls den Rückzug aus dem Öl- und Gasprojekt Sachalin-1, an dem sie derzeit mit 30% beteiligt ist. Einen klaren Zeitplan für den Ausstieg gibt es bisher noch nicht. Das Unternehmen weist aber darauf hin, dass „der Prozess der Einstellung der Aktivitäten sorgfältig gesteuert werden muss“[12]. Bei den Vermögenswerten von ExxonMobil in Russland, die das Unternehmen aufgeben will, handelt es sich schätzungsweise um über 4 Mrd. US-Dollar[13]. Zu den weniger bedeutenden Geschäften des US-amerikanischen Ölgiganten in Russland, deren Ausstieg noch nicht angekündigt wurde, gehört die Tochtergesellschaft Mobil Caspian Pipeline Company, die mit 7,5% am Kaspischen Pipeline-Konsortium beteiligt ist. Dieses Projekt ist mehrheitlich in der Hand des russischen Staats[14].
Ebenso bemerkenswert ist die Ankündigung von Equinor vom 28. Februar, aus russischen Partnerschaften auszusteigen. Das staatliche Energieunternehmen aus Norwegen[15] ist seit Jahrzehnten in Russland tätig, hält unter anderem eine 30-prozentigen Beteiligung am Kharyaga-Ölfeld, einen 33,33-prozentigen Anteil an einem Joint Venture zur Ausbeutung des Nord-Komsomolskoye-Ölfeldes, das von der bereits umstrittenen Rosneft betrieben wird, sowie eine 49-prozentige Beteiligung an AngaraOil LLC, ebenfalls ein gemeinsames Projekt mit Rosneft in Ostsibirien[16].
Es gibt jedoch noch einige multinationale Öl- und Gasunternehmen, die vermutlich „viel zu verlieren“ haben, und sich weigern, ihre Aktivitäten in Russland einzustellen. Dazu gehören etwa Total Energies SE (Total) und Chevron Corp. (Cevron).
TotalEnergies SE steht mit einem Jahresumsatz von fast 190 Mrd. USD an fünfter Stelle der weltweit größten Ölgesellschaften[17] und gehört zu den Unternehmen, die dem Rückzug der anderen großen Ölkonzerne bisher nicht gefolgt sind. Total reagierte auf die Angriffe der Ukraine mit einem halbherzigen und höchst fragwürdigen Ausschluss Russlands von neuen Projekten[18] und unterließ es, sich selbst Verpflichtungen in Bezug auf seine bestehenden Aktivitäten in dem Land aufzuerlegen. Totals Geschäftstätigkeiten in Russland sind gleichzeitig nicht gerade unbedeutend: So ist der Konzern mit 19,4% an Novatek beteiligt[19], einem der größten russischen Flüssiggasproduzenten[20], mit dem es auch das Gemeinschaftsunternehmen Terneftegaz bildet. Des Weiteren sind die Interessen von Total in der russischen Arktis als umfangreich einzuschätzen, da das Unternehmen neben Novatek und CNPC mit einem Anteil von 20% auch das Yamal LNG-Projekt sponsert[21] und darüber hinaus mit 10% am Joint Venture Arctic LNG 2 beteiligt ist, einem Projekt zur Nutzung der Gasreserven des Utrenneye-Feldes nördlich der Halbinsel Gydan[22].
„Chevron hat keine Explorations- oder Produktionsaktivitäten in Russland“, schreibt Chevron nach Russlands Angriff auf die Ukraine auf seiner Webseite[23]. Das Unternehmen sei laut seinem CEO Michael Wirth außerdem „sehr wenig in Russland engagiert“[24]. Tatsächlich ist Chevron jedoch einer der größten Investoren im russischen Öl- und Gassektor und hält einen Anteil von 15% an dem mehrheitlich im Besitz der russischen Regierung befindlichen Kaspischen Pipeline-Konsortium[25]. Das Projekt zielt darauf ab, Rohöl von Kasachstan durch Russland zum Novorossiysk-2 Marine Terminal am Schwarzen Meer zu transportieren, einem wichtigen Standort für die Rohölexporte von Chevron[26]. Es sollte hierbei auch darauf hingewiesen werden, dass Chevron mit einem Jahresumsatz von mehr als 150 Mrd. US-Dollar und einem breiten Spektrum an vor- und nachgelagerten Tätigkeiten den siebten Platz unter den weltweit größten Ölunternehmen einnimmt[27].
Viele der vom Fair Finance Guide (FFG) bewerteten Finanzinstitute gehören zu den Investoren und Finanziers der erwähnten Öl- und Gaskonzerne. Darunter sind auch Total und Chevron, die dem Beispiel ihrer Konkurrenz nicht gefolgt sind und sich trotz der damit verbundenen menschenrechtlichen und wirtschaftlichen Risiken für die Fortführung ihrer Geschäfte in Russland entschieden haben.
Facing Finance hat deshalb die finanziellen Beziehungen dieser beiden Schlusslichter zu FFG-Finanzinstituten genauer untersucht. Allein im Jahr 2021 investierte die Deutsche Bank über die DWS mehr als 1,4 Mrd. Euro in Anleihen und Aktien von Total und fast 650 Mio. Euro in die von Chevron. Die Deutsche Bank selbst hält Aktien und Anleihen von Total (fast 54 Mio. Euro) und Chevron (rund 126 Mio. Euro) und hat für beide Unternehmen Anleihen im Wert von mehr als 1 Mrd. Euro emittiert[28]. Damit ist die Deutsche Bank das FFG-Finanzinstitut mit dem größten Einflusspotenzial auf die Entscheidungen von Total und Chevron. Die UniCredit, die Muttergesellschaft der HypoVereinsbank, gewährte Total im Jahr 2020 Darlehen in Höhe von rund 330 Mio. Euro und war damit unter den größten Finanziers des Unternehmens[29]. Gleichzeitig hat die UniCredit fast 34 Mio. Euro der Schulden von Chevron übernommen. Die DZ Bank hält über die Union Investment Anteile an Chevron und Total in Höhe von rund 625 Mio. Euro bzw. 540 Mio. Euro[30]. Die Allianz ist ebenso stark in Total (ca. 454 Mio. Euro) investiert, und weniger in Chevron (ca. 103 Mio. Euro), ebenfalls über Pimco (Total: 61,5 Mio. Euro; Chevron: 142 Mio. Euro)[31]. Die Deka-Gruppe ist mit Aktien und Anleihen im Wert von knapp 350 Mio. Euro an Total beteiligt, während die niederländische Bank ING mit 63 Mio. Euro in Chevron-Aktien investiert ist[32]. Die Axa schließlich ist an beiden Unternehmen mit mehr als 100 Mio. Euro beteiligt[33]. Andere FFG-Finanzinstitute wie die Commerzbank, die LBBW, die BayernLB, die apobank und die Stadtsparkasse Düsseldorf sind ebenfalls an einem oder beiden Unternehmen beteiligt, wenn auch in wesentlich geringerem Umfang[34].
Abbildung 1: FFG-Finanzinstituten mit finanziellen Verbindungen zu Total (in Mio. EUR, 2018-2022)
Quelle: Refinitiv Eikon
Abbildung 2: FFG-Finanzinstituten mit finanziellen Verbindungen zu Chevron (in Mio. EUR, 2018-2022)
Quelle: Refinitiv Eikon
Wir fordern die großen Finanziers von Total und Chevron, insbesondere die Deutsche Bank, UniCredit, DZ Bank, Allianz, Deka und ING auf, ihren Einfluss geltend zu machen, damit sich Chevron und Total von ihren Beteiligungen in Russland trennen. Als Kreditgeber und Aktionäre dieser Unternehmen sind sie indirekt für deren Entscheidung verantwortlich, die russische Öl- und Gasindustrie weiterhin zu unterstützen. Wir fordern diese Finanzinstitute außerdem auf, ihre Macht auf Aktionärsversammlungen und bei bilateralen Verhandlungen zu nutzen, um Druck auf Unternehmen wie Total und Chevron auszuüben und ihnen starke Anreize zu geben, angemessen auf Russlands Krieg gegen die Ukraine zu reagieren und so sicherzustellen, dass der westliche Energiebedarf nicht auf Kosten von Menschenleben bedient wird.
Die Abhängigkeit des Westens von russischem Öl und Gas, welche die russische Wirtschaft seit Jahrzehnten stärkt, hat bereits mehr als genug Schaden angerichtet. Allein Deutschland wird im Jahr 2021 142 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland importieren, was 32% seiner gesamten Versorgung entspricht[35]. Deutsche Banken und Investoren haben kontinuierlich direkt oder indirekt Kapital in die russische Erdölindustrie gesteckt; eine Industrie, die mit negativen Umweltauswirkungen, hohen Risiken und erheblicher Volatilität verbunden ist. Viele behaupten, dass ein Ausstieg aus den russischen Öl- und Gasreserven die Marktvolatilität deutlich erhöhen und katastrophale Folgen für die Weltwirtschaft haben würde. Daher ist es wichtig zu erkennen, dass diese Anfälligkeit in erster Linie auf das Versäumnis der westlichen Gesellschaften zurückzuführen ist, ihre Verbrauchsmuster zu ändern und der Nachhaltigkeit und Energieunabhängigkeit Vorrang einzuräumen. Dies sind Fehler, aus denen der Westen lernen sollte. Was die Rolle der Finanzinstitute betrifft, so ist es höchste Zeit, dass sie ihre Verantwortung ernst nehmen und das dringend benötigte Kapital für den längst überfälligen Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energiequellen bereitstellen.
Autorin: Kleopatra Partalidou
Danke an Sophia Grill für die deutsche Übersetzung.
[1] https://www.britannica.com/place/Ukraine/The-crisis-in-Crimea-and-eastern-Ukraine
[2] https://www.reuters.com/business/energy/britains-bp-says-exit-stake-russian-oil-giant-rosneft-2022-02-27/
[3] https://www.bp.com/en/global/corporate/news-and-insights/press-releases/bp-to-exit-rosneft-shareholding.html
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/Rosneft
[5] https://www.dw.com/en/russia-oil-spills-far-north/a-56916148
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Rosneft
[7] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014D0659&from=EN
[8] https://www.shell.com/about-us/major-projects/sakhalin/sakhalin-an-overview.html
[9] https://en.wikipedia.org/wiki/Nord_Stream
[10] https://www.shell.com/media/news-and-media-releases/2022/shell-intends-to-exit-equity-partnerships-held-with-gazprom-entities.html. Aus dem Englischen übersetzt; Ursprünglicher Text: “[…] 50 percent stake in the Salym Petroleum Development and the Gydan energy venture”
[11] https://www.wsj.com/livecoverage/russia-ukraine-latest-news-2022-03-04/card/shell-buys-russian-oil-at-bargain-price-2ZljvO2HQlmPm5d5aAgG
[12] https://www.offshore-technology.com/news/exxonmobil-exit-russia-oil-gas/. Aus dem Englischen übersetzt; Ursprünglicher Text: “[…] the process to discontinue operations will need to be carefully managed”
[13] https://www.reuters.com/business/energy/exxon-mobil-begins-removing-us-employees-its-russian-oil-gas-operations-2022-03-01/
[14] https://www.cpc.ru/EN/about/Pages/shareholders.aspx
[15] https://en.wikipedia.org/wiki/Equinor
[16] https://www.equinor.com/en/where-we-are/russia.html
[17] https://www.investopedia.com/articles/personal-finance/010715/worlds-top-10-oil-companies.asp
[18] https://totalenergies.com/media/news/press-releases/totalenergies-statement-concerning-war-ukraine
[19] https://www.reuters.com/business/energy/totalenergies-decide-russian-business-days-says-le-maire-2022-03-01/
[20] https://www.novatek.ru/en/
[21] https://totalenergies.com/energy-expertise/projects/oil-gas/lng/yamal-lng-cold-environment-gas
[22] https://arcticspg.ru/proekt/
[23] https://www.chevron.com/worldwide/russia. Aus dem Englischen übersetzt; Ursprünglicher Text: “Chevron does not have exploration or production activities in Russia”
[24] https://www.cnbc.com/video/2022/03/01/chevron-ceo-mike-wirth-we-have-very-little-exposure-to-russia.html. Aus dem Englischen übersetzt; Ursprünglicher Text: “[…] very little exposure to Russia”
[25] https://www.chevron.com/worldwide/russia
[26] https://en.wikipedia.org/wiki/Caspian_Pipeline_Consortium
[27] https://www.investopedia.com/articles/personal-finance/010715/worlds-top-10-oil-companies.asp
[28] Abgerufen in Refiitiv Eikon, Januar 2022
[29] Abgerufen in Refiitiv Eikon, Januar 2022
[30] Abgerufen in Refiitiv Eikon, Januar 2022
[31] Abgerufen in Refiitiv Eikon, Januar 2022
[32] Abgerufen in Refiitiv Eikon, Januar 2022
[33] Abgerufen in Refiitiv Eikon, Januar 2022
[34] Abgerufen in Refiitiv Eikon, Januar 2022
[35] https://www.reuters.com/business/energy/how-dependent-is-germany-russian-gas-2022-03-08/