Belohnen Ratingagenturen Waffenlieferungen an Krieg führende Staaten mit besseren ESG Ratings?
Im Rahmen des Projektes exitarms.org haben wir die ESG-Ratings von Rüstungsexporteuren durch verschiedene Anbieter von Nachhaltigkeitsratings untersucht. [1] Die Analyse zeigt, dass Rüstungsunternehmen, die Waffen an Krieg führende Staaten liefern, in der Regel in Ratings, die finanzielle Nachhaltigkeitsrisiken bewerten – z.B. Refinitiv ESG Score, Bloomberg ESG Score, S&P Global ESG Score, MSCI ESG Rating – besser abschneiden als alle Vergleichsgruppen. [2] Nur zwei Ratings, die Nachhaltigkeitskontroversen messen – Refinitiv ESG Controversies Score, Sustainalytics Controversy Rating -, bewerten tatsächlich Unternehmen, die Waffen an Krieg führende Staaten liefern, schlechter als Rüstungsfirmen, die keine Waffen an solche Staaten liefern.
Privatinvestoren nehmen häufig an, dass ESG-Ratings die soziale und ökologische Nachhaltigkeit eines Unternehmens sowie seiner Produkte und Geschäftspraktiken bewerten. Daher vermuten sie meist, mit ESG-Investments Beteiligungen an Rüstungsunternehmen mit Waffenexporten in Kriegsgebiete zu vermeiden. Tatsächlich werden aber in den meisten ESG-Ratings lediglich die finanziellen Nachhaltigkeitsrisiken eines Unternehmens gemessen, also inwieweit soziale, ökologische und Governance-Faktoren zu finanziellen Einbußen führen können. Luca Schiewe, ExitArms-Projektkoordinator, warnt: „Dieses Missverständnis führt häufig zu Irritationen und ermöglicht zudem Greenwashing. Im Falle der Rüstungsindustrie hat es zur Folge, dass Investoren, die standardmäßige ESG-Ratings für einen Best-in-Class Investmentansatz ohne Sektorausschlüsse verwenden, ihre Investitionen in Rüstungsunternehmen, die an Krieg führende Staaten liefern, sogar steigern.“
ESG Ratings spielen eine wichtige Rolle in der nachhaltigen Geldanlage und sollen Investor*innen bei Investmententscheidungen helfen, indem sie soziale, ökologische und Governance-Faktoren investierbarer Unternehmen bewerten. Allerdings ist der ESG Ratings Markt wenig transparent und größtenteils unreguliert, sodass es riesige Unterschiede zwischen den Bewertungsmethodiken der verschiedenen Ratinganbieter gibt. Bei Anleger*innen führt diese Situation immer wieder zu Verwirrung. Damit ESG Ratings ihrer Aufgabe, nachhaltige Geldanlage zu unterstützen, gerecht werden können, braucht es eine effektive Regulierung. Und die Chance hierzu bietet sich jetzt. Mitte Juni will die EU Kommission einen Vorschlag zu einer möglichen Regulierung des Markts für ESG Ratings veröffentlichen. Deshalb ist es wichtig, dass die Zivilgesellschaft und Verbraucher*innen der EU-Kommission jetzt deutlich machen, wie ESG Ratings reguliert werden müssen.
Datenbank-Update: 600 Unternehmen beliefern Kriegsparteien weltweit
Die der ESG Ratings Analyse zugrunde liegende ExitArms-Datenbank ermöglicht einen differenzierten Blick auf Rüstungsfirmen und Waffenexporte. Angesichts eines versuchten Imagewandels der Rüstungsindustrie hin zu einem ‚Garanten für Sicherheit und Nachhaltigkeit‘ kritisiert Thomas Küchenmeister, geschäftsführender Vorstand von Facing Finance: „Seit der russischen Invasion in der Ukraine wird in der öffentlichen Debatte häufig übersehen, dass Rüstungsunternehmen eben nicht nur für die Landesverteidigung oder zur Unterstützung der Ukraine produzieren, sondern weiterhin auch weltweit Krieg führende, menschenrechtsverletzende Autokratien beliefern. Die Belieferung von Kriegsparteien, die an den Konflikten in Libyen, Syrien oder im Jemen beteiligt sind, lässt die Behauptung der Rüstungsindustrie, sozial und nachhaltig zu sein, geradezu zynisch erscheinen. Von Ratingagenturen darf man erwarten, dass sie bei ihren ESG Ratings nicht die tatsächlichen Verhältnisse in den betroffenen Kriegsgebieten ignorieren.”
Die Auswertung der ESG Ratings basiert auf dem ersten Update des ExitArms-Datenbankprojektes (www.exitarms.org). Es ist die einzige öffentliche, globale Datenbank zu Unternehmen, die an Rüstungsexporten an Kriegsparteien beteiligt sind. Hauptzielgruppe sind Finanzinstitute, denen die Datenbank eine systematische Basis zur Betrachtung von Rüstungsunternehmen bietet für entsprechende Kreditrichtlinien, Engagement oder Divestment. Zudem richtet sich die Datenbank als Informationsquelle an Politik, Regulatoren, Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft.
Neu umfasst die Analyse jetzt Waffenlieferungen im Zeitraum 2016-2021 (vorher: 2015-2020). Die Datenbank führt rund 600 Unternehmen auf, die in diesem Zeitraum direkt, über Tochtergesellschaften oder über Joint Ventures an Rüstungsexporten beteiligt waren. Diese Firmen haben gemeinsam 41 Kriegsparteien weltweit beliefert, involviert in größtenteils innerstaatliche Kriege.
Im Rahmen des Updates wurden die Waffenlieferungen des Jahres 2021 recherchiert und die vom Heidelberger Konfliktbarometer neu als Kriegsparteien eingestuften Länder aufgenommen. Dadurch wurden rund 100 Firmen neu in die ExitArms-Datenbank eingepflegt, die an diesen Waffenlieferungen beteiligt waren. Ergänzend werden als Zusatzinformation neu 95 Unternehmen aufgeführt, die keine Rüstungsexporteure sind, sondern lokale Co-Produzenten. [3]
Die Unternehmen aus den westlichen Industriestaaten, die die meisten Kriegsparteien im Untersuchungszeitraum belieferten, sind Leonardo (17 Kriegsparteien), Airbus, Raytheon (je 16), Lockheed Martin (15), Thales (13), BAE Systems, Boeing und Pratt & Whitney (je 12). Spitzenreiter ist jedoch der russische Konzern Rostec mit Waffenlieferungen an 23 Krieg führende Staaten. Daneben exportieren insbesondere NPO High-Precision Weapons (14 Kriegsparteien), JSC Russian Helicopters (13), Almaz-Antey (8), United Aircraft Corporation und Uralvagonzavod (je 7) russische Waffen in Kriege weltweit. Russlands Rüstungsindustrie unterstützt nicht nur den aktuellen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sondern hat in den letzten Jahren verschiedene Konflikte befeuert, unter anderem durch Waffenlieferungen an rivalisierende Konfliktparteien (z.B. Pakistan und Indien).
Von den 48 deutschen, in der ExitArms-Datenbank gelisteten Unternehmen, belieferten die Airbus Tochter Airbus Defence and Space (12 belieferte Kriegsparteien), die Rolls-Royce Tochter MTU Friedrichshafen (11), Rheinmetall, Volkswagen (je 7), Wegmann & Co GmbH (6) und ThyssenKrupp (5) die meisten Kriegsparteien. [4]
Die Länder, in denen die meisten Unternehmen, die Waffen in Kriegsgebiete liefern, ihren Sitz haben, sind: USA (95 Unternehmen), Russland (65), Deutschland (48), Frankreich (35), China (32), Türkei (23) und Großbritannien (21). Damit kommen mehr als die Hälfte (57%) der Konzerne, denen Rüstungsexporte an Kriegsparteien nachgewiesen werden konnten, aus diesen sieben Ländern.
Die Datenbank ist auf exitarms.org frei zugänglich. Zudem stellen wir die auf Finanzinstitute zugeschnittene Investorenliste auf Nachfrage gerne zur Verfügung.
Anmerkungen:
[1] Die Ratings der Nachhaltigkeitsratingagenturen sind nicht öffentlich. Die Analyse zu Nachhaltigkeitsratings und Rüstungsfirmen findet sich auf exitarms.org/stories.
[2] Für alle Ratings mit dem gängigen Ansatz, finanzielle Nachhaltigkeitsrisiken relativ zum jeweiligen Sektor zu bewerten, gibt es eine Korrelation zwischen Rating und Rüstungsexporten in Kriegsgebiete. Auch Regressionsanalysen, die den möglichen Einfluss anderer Faktoren wie Firmengröße und Land kontrollieren, zeigen einen statistisch signifikanten positiven Effekt von Rüstungsexporten in Kriegsgebiete auf Nachhaltigkeitsratings. Allerdings lässt sich nicht auf einen kausalen Zusammenhang schließen, da nicht auszuschließen ist, dass Ratings von weiteren Faktoren beeinflusst werden.
[3] Lokale Co-Produzenten sind Rüstungsfirmen, die zusammen mit ausländischen Unternehmen vor Ort in Kriegsgebieten bzw. Krieg führenden Staaten produzieren und daher nicht als Exporteure gelten. Sie sind nicht Teil der rund 600 ExitArms-Firmen und sollen lediglich die Informationen rund um die Beteiligung des ausländischen Unternehmens ergänzen.
[4] Volkswagen ist involviert über seine Tochterfirmen Traton und MAN Energy Solutions. Wegmann & Co GmbH ist involviert über die Firma KNDS (KMW und Nexter), die Wegmann & Co GmbH zur Hälfte gehört.