Eisenerz: Schreibe deiner Bank für mehr Umweltgerechtigkeit!
Schreibe an Deine Bank und setze Dich für einen Ausschluss von Investitionen in und Finanzierungen für Vale ein!
Eine Fallstudie von Carolina de Moura, Danilo Chammas und Guilherme Cavalli aus dem Dirty Profits Bericht 10: Transformation oder Resignation?
Der Bundesstaat Minas Gerais im Südosten Brasiliens wurde in den letzten zehn Jahren von gleich mehreren verheerenden Katastrophen heimgesucht: den beiden Dammbrüchen der Rückhaltebecken in den Städten Mariana und Brumadinho. Im Jahr 2015 ergossen sich 42 Millionen Kubikmeter Giftschlamm in den Fluss Rio Doce, verursacht durch Samarco, das Joint Venture der beiden Bergbaukonzerne Vale und BHP Billiton. Vier Jahre später, 2019, kontaminierten weitere 13 Millionen Kubikmeter giftige Rückstände des Bergbaukonzerns Vale den Fluss Paraopeba. Beide Ereignisse führten zum vorzeitigen Tod von 289 Menschen und drei noch ungeborenen Kindern.
In Brumadinho geschah die Bergbaukatastrophe unter Mitwirkung des deutschen Sicherheitszertifizierers TÜV SÜD, der wenige Monate vor dem Einsturz ein Stabilitätsgutachten vorlegte. Die Fehleinschätzung kostete 272 Menschen das Leben und hat weitreichende Folgen für die Biodiversität. Wasser, Böden und Luft wurden verseucht, rießige Flächen durch die Wucht der Schlammlawine abgeholzt. Die öffentliche Wasserversorgung für rund 1,5 Millionen Menschen sowie die Lebensgrundlagen und Einkommensquellen indigener Völker und anderer Ufergemeinden wurden massiv beeinträchtigt.
Auch die Finanzmärkte reagierten auf die Katastrophe. Am ersten Handelstag nach der Tragödie brach der Aktienkurs von Vale aufgrund der Panik der Anleger*innen um 25% ein, wodurch der Marktwert des Unternehmens um mehr als 16 Mrd. € sank. Allerdings stieg der Kurs schon Ende Dezember 2019, nach nicht einmal einem Jahr, wieder auf das Niveau vor der Tragödie. Die durchschnittliche Erholungszeit von Aktienkursen ist laut einer ESG-Studie des brasilianischen Vermögensverwalters XP Investimentos mit weniger als 90 Tagen sogar noch kürzer, unabhängig von der Schwere der Umweltkrise (Rocha 2023). Bedient sich der Finanzmarkt des ESG-Akronyms also nur in blumigen Erzählungen, während er Umwelttragödien, Klimawandel und Menschenrechtsverletzungen ignoriert und es versäumt, wirksame soziale, ökologische und Governance-Maßnahmen zu ergreifen?
REALITÄTSCHECK: DAS „E“ IN ESG
Die Mata Atlântica, der Atlantische Regenwald, ein globaler Hotspot der Artenvielfalt, ist in Minas Gerais von einst 49% der Fläche des Bundesstaates auf nur noch 7% ihrer ursprünglichen Ausdehnung geschrumpft. Trotz der geringen Überreste beherbergt die Region eine große Vielfalt an Pflanzen-und Tierarten, darunter viele endemische und bedrohte Arten.
Industrieller Bergbau führt zu Entwaldung. Laut einer Studie der Wirtschaftsuniversität Wien und der Clark University in Massachusetts gehört Brasilien zu den vier Ländern weltweit, die am meisten Tropenwald durch industriellen Bergbau abholzen. Die durch den Eisenerz- und Goldabbau verursachte Abholzung im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist in den Satellitendaten deutlich sichtbar (Giljum et al. 2022).
Vale bekennt sich zum Schutz, zur Wiederherstellung und zum Erhalt von Landökosystemen im Sinne der Agenda 2030 (SDG 15, Leben an Land) und betont öffentlich das eigene Umweltengagement. Konkrete Aussagen, wie beispielsweise die Mata Atlântica im Zuge des Bergbaus geschützt werden soll, bleibt das Unternehmen allerdings schuldig (Vgl. Vale 2023a/Vale 2023b). Immerhin haben die beiden Bergbaukatastrophen des Unternehmens tausende Hektar Biodiversität des Bioms zerstört. Darüber hinaus wird die Umwelt seit mindestens 50 Jahren täglich durch den Betrieb von Dutzenden von Minen und 96 Rückhaltebecken des Unternehmens geschädigt. Die aktuellen Umweltgenehmigungsverfahren für die neuen Bergbauprojekte Apolo und Serra da Serpentina sowie der Umgang mit Umwelt- und Menschenrechtsschützer*innen, die auf die sozialen und ökologischen Auswirkungen dieser Projekte hingewiesen haben, werden zeigen, ob das Unternehmen seinen Worten nun Taten folgen lässt. Für die Glaubwürdigkeit des Unternehmens ist dies ein entscheidender Gradmesser.
Gegenüber der Börse von São Paulo (BOVESPA) erklärt das Unternehmen seine Maßnahmen zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Schutzgebieten in der Mata Atlântica. Bis 2030 sollen 500 000 Hektar wiederhergestellt und geschützt werden (Vale 2021, 328). Dass nahezu alle Maßnahmen in bereits geschützten Gebieten stattfinden, unterschlägt Vale dabei. Auch die Versuche, die Schaffung von Schutzgebieten in Minas Gerais zu verhindern oder zu verkleinern, bleiben unerwähnt. In der Zeit von 2010 bis 2014 drängte Vale etwa auf die Festlegung der Nationalparkgrenzen der Serra do Gandarela zugunsten seines Bergbauprojekts Apolo, dass das Unternehmen seit 2009 zu genehmigen versucht.
In den Berichten von Vale fehlen wichtige Informationen: Wie viel der Mata Atlântica hat das Unternehmen in Minas Gerais seit Beginn seiner Aktivitäten abgeholzt? Welche gefährdeten oder endemischen Tier- und Pflanzenarten gab es in diesen Gebieten? Wie viel Grundwasser wurde in den Dutzenden von Bergwerken entnommen, die das Unternehmen betreibt?
Vale verursacht zudem enorme Treibhausgasemissionen. Im Jahr 2021 beliefen sich die weltweiten Emissionen auf 505,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Das Unternehmen hat sich zwar zu Klimaneutralität bis 2050 verpflichtet, bezieht dies aber nur auf die direkten Betriebsemissionen und den Energieverbrauch (Scope 1 und Scope 2 des GHG-Protokolls). Die indirekten Emissionen der Wertschöpfungskette, die bei Vale aber 98 % der Emissionen bzw. 495 Millionen Tonnen CO2 ausmachen, fehlen in dieser Berechnung. Das New Climate Institute bemängelt, dass wesentliche Maßnahmen zur Adressierung der Hauptemissionsquellen fehlen und dass das CO2-Neutralitätsziel irreführend sei, wenn es nur 2 % des Klimafußabdrucks abdecke und ferner von Kompensationen abhängig sei (Day et al. 2022, 100f.). In der Praxis wirken Emissionsausgleiche wie ein Freibrief für immer neue Umweltverschmutzung, ohne eine echte Dekarbonisierung zu erzielen (Angelo 2022).
Wir befinden uns inmitten einer neuen Bergbauwelle, deren Ende nicht abzusehen ist. Die steigende Nachfrage nach mineralischen Rohstoffen für klimafreundliche Technologien wie erneuerbare Energien und Elektromobilität treibt den industriellen Bergbau voran. Doch mit der wachsenden Nachfrage dringt der Bergbau in immer neue Gebiete vor und verursacht an immer neuen Orten immer größere Schäden.
REALITÄTSCHECK: DAS „S“ IN ESG
Die in der Initiative International Articulation of Those Affected by Vale (AIAAV) zusammengeschlossenen Organisationen dokumentieren seit 2010 soziale und ökologische Konfliktsituationen im Zusammenhang mit dem Bergbauunternehmen Vale. Mit den sogenannten Vale Unsustainability Reports kontrastiert die Initiative die Informationen aus den jährlichen Nachhaltigkeitsberichten mit den Daten, technischen Analysen und vor allem mit den realen Erfahrungen jener Menschen, die in den von Vale‘s Bergbauaktivitäten betroffenen Gebieten leben (AIAAV 2021).
In der letzten Ausgabe des Unsustainability Reports von 2021 fasst die Initiative AIAAV eine Reihe von Kritikpunkten zusammen: Die explosionsartige Zunahme von Covid-19-Fällen in den von Vale betroffenen Gebieten aufgrund der Missachtung von Gesundheitsstandards und der Exposition von Mitarbeitenden und der lokalen Bevölkerung gegenüber Krankheiten; der Rückzug des Unternehmens aus Gebieten ohne die verursachten sozialen und ökologischen Auswirkungen, die Gewalt und die Schulden zu beheben; die massive Auslagerungsstrategie von Vale, um Gewinne auf Kosten der Prekarisierung der Lebensbedingungen der Arbeitenden zu maximieren; die rassistisch-orientierte Auswahl von Gebieten mit schwarzer und indigener Bevölkerung für die Ansiedlung hochgradig umweltverschmutzender Betriebe (AIAAV 2021).
In den letzten Jahren hat sich Vale bemüht, die durch den Einsturz des Brumadinho-Staudamms verursachten Schäden zu beheben. Wenige Monate nach der Katastrophe wurde beispielsweise ein eigenes Managementteam für die Wiedergutmachung eingerichtet. Seitdem spielt das Thema auch in der Kommunikation mit Investoren und der breiten Öffentlichkeit eine wichtige Rolle. Vale hat beträchtliche Werbeinvestitionen getätigt, um auf seine Aktivitäten in den betroffenen Gebieten aufmerksam zu machen.
Doch gibt es nach wie vor viele kritische Stimmen. Ein Beispiel ist die Vereinigung der Angehörigen der Opfer und Betroffenen der Tragödie des Einstures des Córrego-Feijão-Staudamms in Brumadinho (AVABRUM), die sich für ein Denkmal für die Aufbewahrung der sterblichen Überreste der Opfer einsetzt. Sie fordern die rechtlich garantierte Kontrolle über die Gedenkstätte ein und wollen eine Einmischung Vales verhindern. Das Denkmal soll Angehörigen, Freunden und Familien sowie der Allgemeinheit gehören (Luz 2023).
Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Recht auf Erinnerung als wichtiges Instrument zur Wiedergutmachung für die Opfer in seiner Rechtsprechung anerkannt. Ziel der Erinnerungsarbeit ist es, durch die Förderung eines kollektiven Bewusstseins und die Bewahrung des Andenkens an die Opfer eine Wiederholung der Geschehnisse zu verhindern. Auch die Interamerikanische Menschenrechtskommission betont das Recht der Gesellschaft, die Wahrheit, die Gründe und Umstände solcher Geschehnisse zu erfahren, um eine Wiederholungen solcher Katastrophen zu verhindern (Suarez 2013, 179).
REALITÄTSCHECK: DAS „G“ IN ESG
Nie wieder Mariana. Mit diesem Anspruch trat Fabio Schvartsman im Mai 2017 die Position des CEO bei Vale an. Das Versprechen eines Wandels im Umgang mit der Staudammsicherheit währte allerdings nur kurz. Keine zwei Jahre später kam es in Brumadinho zu besagtem zweiten Dammbruch mit noch mehr Toten. Die Untersuchungen der Justiz- und Sicherheitsbehörden ergaben, dass sich die Geschäftsführung der kritischen Zustände der Staudämme, einschließlich des Damms in Brumadinho, bewusst war.
Die Handlungen der Unternehmensleitung in Bezug auf die Dammsicherheit haben auch bei Aktionär*innen Bedenken hervorgerufen. So forderte ein Aktionär auf der Hauptversammlung 2018 stärkere Sicherheitsmaßnahmen (Valente 2019). Doch selbst nach der Tragödie von Brumadinho und trotz der ausdrücklichen Forderung einiger Minderheitsaktionäre weigerte sich der Verwaltungsrat von Vale, Veränderungen im Unternehmensmanagement vorzunehmen. Erst im März 2019 wurden der CEO und drei weitere leitende Angestellte aufgrund der Ermittlungen einer Arbeitsgruppe, bestehend aus der Bundespolizei, der Bundesstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft von Minas Gerais, von ihren Positionen entfernt. Allerdings wurden sie durch Personen ersetzt, die bereits Teil der Unternehmensleitung waren.
Im Jahr 2020 reichte die Bundesstaatsanwaltschaft eine Sammelklage ein, um eine gerichtliche Intervention im Unternehmensmanagement von Vale und einen Arbeitsplan zur Umstrukturierung zu erwirken. Laut den Staatsanwälten hat Vale eine „interne Kultur der Missachtung von Umwelt- und Menschenrisiken entwickelt, bei der sie die Vorteile ihrer Aktivitäten für sich beansprucht, aber die Risiken und schädlichen Auswirkungen ihrer Geschäftsführung auf die Gesellschaft überträgt, was zu einer wahren Situation der organisierten Verantwortungslosigkeit führt“. Die Klage forderte auch die vorübergehende Aussetzung der Ausschüttung von Dividenden oder Eigenkapitalzinsen (Assessoria de Comunicação Social 2020).
Fabio Schvartsman, Silmar Magalhães Silva und Lucio Flavo Gallon Cavalli, die zum Zeitpunkt der Tragödie Teil des Verwaltungsrats des Unternehmens waren, gehören zu den Angeklagten in einem Strafverfahren, das die strafrechtliche Verantwortung für den Dammbruch in Brumadinho untersucht. Ihnen wird vorsätzlicher Mord in 270 Fällen sowie verschiedene Umweltdelikte vorgeworfen (Vara Criminal Federal da Seção Judiciária de Minas Gerais 2023).
Was ist von Vale angesichts seiner kriminellen Vergangenheit zu erwarten?
Das Ziel börsennotierter Unternehmen ist die Maximierung des Aktionärgewinns. Gerade die Tragödien in Minas Gerais haben jedoch gezeigt, dass Bergbauunternehmen und beteiligte Zertifizierungsfirmen nicht in gutem Glauben handeln und das Vertrauen der lokalen Gemeinschaften und der Gesellschaft als Ganzes nicht verdienen. Angesichts der gravierenden Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörungen und Scheinlösungen erscheint das Narrativ von einem strukturellen Wandel im Denken und Handeln der Minenbetreiber zunehmend unrealistisch. Das Wesen des Bergbaus ist es, in die Natur einzugreifen, den Erdkörper zu zerstören, Löcher zu bohren, Grundwasserreservoirs zu leeren und eine endliche natürliche Ressource auszubeuten. Bergbau ist nicht nachhaltig. Projekte zur Zerstörung von Wasserquellen in Zeiten von Wasser- und Klimakrisen müssen ein Ende haben und sind mit dem ESG-Gedanken unvereinbar.
Vales wohlklingender Kommunikation zum Trotz, stehen die Geschichte und die finanzielle Natur des Unternehmens in grundlegendem Widerspruch zu den Versprechungen nachhaltigen Wirtschaftens.
Die vom Finanzmarkt gepriesene Vereinbarkeit des ESG-Konzepts mit dem überholten Ideal der Profitmaximierung und die Vorstellung, dass „Unternehmensverantwortung“ und „privates Engagement“ konkrete Antworten auf sozio-ökologische Krisen seien, entpuppt sich als eine schöne Erzählung. Letztlich dient auch diese Strategie dazu, unsere Zukunft und die des Planeten möglichst lange der unternehmerischen Logik der Gewinnmaximierung unterzuordnen.
-Carolina de Moura, Danilo Chammas und Guilherme Cavalli
Carolina de Moura ist Journalistin und Landwirtin in Brumadinho (MG), Projektkoordinatorin am Institut Cordilheira und Mitglied der politischen Koordination des lateinamerikanischen Frauennetzwerks für soziale und ökologische Rechte.
Danilo Chammas ist Menschenrechtsanwalt. In den letzten 24 Jahren hat er mit Basisorganisationen zusammengearbeitet, die Rechtsstrategien und Initiativen zur Unterstützung von Menschen entwickelt haben, die von Rohstoffprojekten betroffen sind. Er ist Mitglied von Justiça nos Trilhos. Danilo Chammas lebt in Brumadinho, Minas Gerais, wo er mit den Familien der Opfer des Dammbruchs bei Vale in ihrem Kampf für Strafjustiz in Brasilien und Deutschland zusammenarbeitet. Er ist Präsident des Instituts Cordilheira.
Guilherme Cavalli arbeitet zu Menschenrechten und Umweltrecht mit Schwerpunkt auf indigenen Völkern und vom Bergbau betroffenen Gemeinden in Lateinamerika. Er ist Koordinator der Divestment-Kampagne des lateinamerikanischen Netzwerks Kirchen und Bergbau.
Der vollständige Dirty Profits 10: Transformation oder Resignation? steht zum Download bereit. Er enthält weitere Fallstudien, Details zu den Finanzbeziehungen und Stellungnahmen.
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