Wer finanziert die deutsche Rüstungsindustrie – und wie?
Dieser Artikel ist zuerst erschienen im Rüstungsexportkontrollatlas der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden e.V., der hier bestellt werden kann.
Ohne Bankkredite, ohne Exportkredite, ohne Versicherungen von Rückversicherern, ohne Risikenübernahme von Investmentbanken, ohne Investitionen von Fonds und ohne Anleihenverkäufe an der Börse ist es auch für deutsche Rüstungskonzerne schwer, auf den (internationalen) Markt zu gelangen und sich dort zu halten. Doch über welche Strukturen und Wege erhalten deutsche Rüstungsunternehmen konkret Gelder?
Die Umschreibung »deutsche Rüstungsindustrie« kann unterschiedlich weit gefasst werden und bedarf einer Spezifizierung (→ vgl. Seifert). Nach der Mitgliederliste des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) umfasst die »deutsche Rüstungsindustrie« aktuell 221 Mitgliedsunternehmen, von denen 187 namentlich genannt werden. Nach Angaben des BDSV betätigen sich seine Mitgliedsunternehmen in Deutschland auf dem Gebiet der Ausrüstung von Organen der Landesverteidigung und inneren Sicherheit in der Wehr-, oder Sicherheitstechnik mit industriellen oder digitalen Wertschöpfungsketten. Die Mitgliedschaft ist unabhängig von der Unternehmensgröße und bietet damit eine gute Annäherung an ein breites Verständnis der deutschen Rüstungsindustrie.
Finanzierungswege der Rüstungsindustrie
Die deutsche Rüstungsindustrie ist bezüglich Eigentümerstruktur, Ort des Unternehmenssitzes, Mitarbeiter*innenzahl und Jahresumsatz sehr heterogen. Je nach Unternehmensstruktur nutzen deutsche Rüstungsfirmen auch sehr unterschiedliche Finanzierungswege. Um einen Überblick zu bekommen, lohnt es sich, die Unternehmen zunächst anhand der zentralen Faktoren Eigentümerstruktur und Ort des Unternehmenssitzes zu kategorisieren (vgl. Abb. 8 und 9). Unter den BDSV-Mitgliedsunternehmen haben 129 ihren Hauptsitz in Deutschland, während 58 ihren Hauptsitz im Ausland haben oder deutsche Tochterunternehmen von ausländischen Konzernen sind. Bezüglich der Eigentümerstruktur befinden sich 95 Unternehmen in privatem Besitz, meist mittelständische Familienunternehmen, die eher kleinere Mitarbeiter*innenzahlen und Jahresumsätze aufweisen; Sechs gehören Finanzinvestoren, die das Ziel verfolgen, diese Unternehmen profitabler zu machen und anschließend weiterzuverkaufen oder an die Börse zu bringen; 28 sind Tochterfirmen von Konzerngruppen in Privathand oder Staatshand, meist Großkonzerne; Neun sind börsennotiert und in der Regel charakterisiert durch große Mitarbeiter*innenzahlen und Jahresumsätze; und 41 sind Tochterunternehmen oder Joint Ventures von börsennotierten Konzernen, die meisten davon mit Sitz im Ausland. Zu acht Unternehmen konnten keine Informationen zur Unternehmensstruktur gefunden werden.

Die Unternehmensstruktur beeinflusst, auf welche Weise sich eine Rüstungsfirma finanziert. Für alle Firmen gilt, dass sie ihre Operationen und Investitionen teilweise selbst über einbehaltene Gewinne finanzieren. Daneben lassen sich für jede Unternehmensstruktur verschiedene Finanzierungswege erkennen.
Erstens: Unternehmen in privatem Besitz finanzieren sich hauptsächlich über Kredite deutscher Banken. Dabei handelt es sich in der Regel um konventionelle Banken und nicht um Nachhaltigkeitsbanken. Der Fair Finance Guide Deutschland zeigt, welche deutschen Banken die Rüstungsindustrie finanzieren und welche nicht.
Zweitens: Unternehmen, die Teil einer Konzerngruppe sind, finanzieren sich in der Regel über ihren Mutterkonzern. Einige deutsche BDSV-Mitgliedsfirmen gehören zu großen und internationalen Konzernen, meist Rüstungskonzernen, und finanzieren sich über diese. Ein paar dieser ausländischen Mutterkonzerne sind in Staats- oder Privathand, aber die meisten sind börsennotiert: Airbus, Atos, BAE Systems, Bruker, CAE, Capgemini, Caterpillar, CGI, Chart Industries, Cohort, Dassault Aviation, Elbit Systems, Engie, Frequentis, General Atomics, General Dynamics, Huber+Suhner, IBM, Kennametal, Leonardo, Melrose Industries, Moog, Northrop Grumman, Oerlikon, Palantir, QinetiQ, Rolls-Royce, RTX, Saab, Safran, Solvay und Thales.

Drittens: Unternehmen, die an der Börse gelistet sind, finanzieren sich häufig über Konsortialkredite (große Kredite, die von mehreren nationalen und internationalen Banken gemeinsam vergeben werden) oder direkt über die Ausgabe neuer Aktien und Anleihen am Kapitalmarkt. Wenn eine deutsche Rüstungsfirma eine Anleihe ausgibt, dann nimmt sie dabei frisches Fremdkapital am Finanzmarkt auf. Wenn sie neue Aktien ausgibt, dann nimmt sie dabei frisches Eigenkapital am Finanzmarkt auf. Dabei übernehmen ein paar ausgewählte Investmentbanken die neuen Aktien und verkaufen sie dann an Anleger*innen, insbesondere Pensionskassen, Versicherungsgesellschaften, Kreditinstitute, Vermögensverwalter und Investmentfonds. Wenn diese Anleger*innen neu ausgegebene Aktien oder Anleihen eines deutschen Rüstungsunternehmens kaufen (Primärmarkt), dann finanzieren sie dieses Unternehmen. Wenn dahingegen alte Aktien eines Rüstungsunternehmens zwischen Investor*innen gehandelt werden (Sekundärmarkt), erhält dieses Unternehmen dabei kein Geld. Trotzdem unterstützen auch Käufer*innen von Rüstungsaktien am Sekundärmarkt indirekt die jeweiligen Rüstungsfirmen, da sie zu einer höheren Nachfrage beitragen, die den Aktienpreis stützt und die Firma von einem höheren Aktienpreis finanziell profitiert. Das ist z.B. der Fall, wenn die Firma neue Aktien ausgibt und dabei dann einen höheren Preis erzielen kann.
Viertens: Ein paar deutsche Rüstungsfirmen wurden von Finanzinvestoren, meist Private Equity Fonds, aufgekauft und werden von diesen teilweise finanziert. Zu diesen Finanzinvestoren zählen aktuell Capital Management Partners, Mimir Group, Perusa Partners, Rantum Capital, Star Capital Partnership LLP, Triton Capital Partners und bald auch KKR.
Investoren und Kreditgeber der deutschen Rüstungsindustrie
Im Folgenden wird analysiert, wer die börsennotierten BDSV-Mitgliedsfirmen finanziert. Die größten Aktionäre der deutschen Rüstungsindustrie können unterschieden werden zwischen strategischen Anteilseignern (Staaten, Partnerkonzerne, Stiftungen, Gründerfamilien) und Investoren, die mit ihren Aktieninvestments in erster Linie Gewinne erzielen wollen. Die größten strategischen Anteilseigner der börsennotierten BDSV-Mitgliedsfirmen sind Stand August 2023 der deutsche Staat (mit Aktienbeteiligungen in Höhe von 12,95 Mrd. US$); der französische Staat (12,44 Mrd. US$); der Autokonzern Mercedes Benz (8,71 Mrd. US$); der spanische Staat (4,68 Mrd. US$); die Luxemburger Finanzholding CDE (2,38 Mrd. US$); der chinesische Autokonzern BAIC (1,62 Mrd. US$); der Staatsfonds Kuwaits (1,24 Mrd. US$); der Sicherheitstechnologie-Konzern Giesecke+Devrient (1,04 Mrd. US$); die Krupp-Stiftung (0,98 Mrd. US$); der italienische Rüstungskonzern Leonardo (0,62 Mrd. US$); die Software AG Stiftung (0,6 Mrd. US$); und die Fuchs-Familienstiftung (0,56 Mrd. US$).

Die größten Investoren der börsennotierten BDSV-Mitgliedsfirmen sind Stand August 2023 die US-amerikanische Investmentgesellschaft Capital Group (12,67 Mrd. US$); der weltweit größte Vermögensverwalter Blackrock (9,52 Mrd. US$); der weltweit zweitgrößte Vermögensverwalter Vanguard (4,04 Mrd. US$); der britische Hedge-fond TCI (2,55 Mrd. US$); der weltweit drittgrößte Vermögensverwalter Fidelity (2,16 Mrd. US$); Europas größter Fondsanbieter Amundi (2,07 Mrd. US$); die US-Investmentgesellschaft Wellington (1,79 Mrd. US$); die größte britische Bank HSBC (1,41 Mrd. US$); das Fondshaus der Deutschen Bank, die DWS (1,23 Mrd. US$); die US-Investmentgesellschaft Invesco (1,22 Mrd. US$); die US-Investmentgesellschaft Harris Associates (1,21 Mrd. US$); und das Fondshaus der deutschen Sparkassen, die Deka (1,07 Mrd. US$). Es zeigt sich, dass die wichtigsten Investoren der börsennotierten deutschen Rüstungsfirmen die großen US-amerikanischen Finanzinstitute sind, die die globalen Kapitalmärkte dominieren. Dahinter kommen Finanzinstitute aus Großbritannien, Deutschland und Frankreich.
Wenn wir die Konsortialkredite betrachten, die die börsennotierten BDSV-Mitglieder seit dem Jahr 2020 erhalten haben, sehen wir, dass die größten Kreditgeber allesamt Großbanken sind: Die größte französische Bank BNP Paribas (4 Mrd. US$); die zweitgrößte italienische Bank Unicredit (3,97 Mrd. US$); die nach Börsenwert weltweit größte Bank JP Morgan (3,71 Mrd. US$); die zweitgrößte französische Bank Crédit Agricole (3,60 Mrd. US$); die größte britische Bank HSBC (3,51 Mrd. US$); die französische Bank Société Générale (3,39 Mrd. US$); die Investmentbank der französischen Sparkassen und Genossenschaftsbanken, Natixis (3,33 Mrd. US$); die größte spanische Bank Santander (3,33 Mrd. US$); die größte deutsche Privatbank Deutsche Bank (1,70 Mrd. US$); die zweitgrößte spanische Bank BBVA (1,42 Mrd. US$); die zweitgrößte britische Bank Barclays (1,32 Mrd. US$); die US-Bank Citi; die größte kanadische Bank RBC; die japanischen Banken Mizuho und Sumitomo (alle 1,26 Mrd. US$); und die zweitgrößte deutsche Privatbank Commerzbank (0,59 Mrd. US$).
Hinzu kommen weitere Banken, die sich mit Summen unterhalb der Milliardenmarke an diesen Konsortialkrediten beteiligt haben. Das sind unter anderem die deutsche staatliche Förderbank KfW; die Kreissparkasse Biberach; die Kreissparkasse Ostalb; die Stadtsparkasse Düsseldorf; die Landesbank Baden-Württemberg; die Landesbank Hessen-Thüringen; die Bayerische Landesbank; das Zentralinstitut der deutschen Volks- und Genossenschaftsbanken, die DZ Bank; die größte chinesische Bank Industrial & Commercial Bank of China; die US-Investmentbank Goldman Sachs; die nach Börsenwert weltweit zweitgrößte Bank Bank of America; die größte holländische Bank ING; die größte schwedische Bank SEB; die britische Bank Standard Chartered; die größte Singapurer Bank DBS; die französische Genossenschaftsbank Crédit Mutuel; die australische Bank ANZ; die größte Schweizer Bank UBS; und die kürzlich untergegangene Credit Suisse.
Wer finanziert kontroverse Waffen?
Im Finanzsektor werden Rüstungsunternehmen häufig danach unterschieden, ob sie kontroverse Waffen entwickeln, produzieren und verkaufen oder dies nicht tun. Bei kontroversen Waffen handelt es sich um Kampfmittel, deren Einsatz umstritten ist und die meist in internationalen Verträgen von einer Vielzahl an Staaten geächtet werden. Dazu werden meist Streumunition, Nuklearwaffen, Anti-Personen-Minen, biologische Waffen, chemische Waffen, Waffen mit weißem Phosphor und abgereichertes Uran gezählt. Insgesamt sechs BDSV-Mitgliedsfirmen sind Teil von ausländischen, börsennotierten Rüstungsunternehmen, die an der Herstellung kontroverser Waffen beteiligt sind. Folglich finanzieren sich die deutschen Rüstungsfirmen, die Teil eines Herstellers kontroverser Waffen sind, über diese ausländischen Mutterkonzerne: Airbus, General Dynamics, Northrop Grumman, Safran, Thales, Elbit Systems. Weitere sieben ausländische Rüstungskonzerne, die nicht Mitglieder des BDSV sind, produzieren kontroverse Waffen und haben Niederlassungen oder Produktionsstätten in Deutschland. Diese deutschen Produktionsstätten finanzieren sich ebenfalls über die ausländischen Konzerne, zu denen sie gehören: Boeing, Fluor, Honeywell International, Jacobs Engineering, Leonardo, Dassault Aviation, Rolls-Royce.

Wer liefert Waffen an kriegführende Staaten?
In der Datenbank exitarms.org, einem Projekt von Facing Finance e.V., unterscheiden wir zwischen Unternehmen, die Waffen an kriegführende Staaten liefern und Unternehmen, die das nicht tun. Aus diesen Daten geht hervor, dass zwischen 2016 und 2021 insgesamt 48 Unternehmen mit Sitz in Deutschland an Rüstungsexporten in Kriegsgebiete beteiligt waren. Zudem haben im selben Zeitraum 65 Unternehmen – teilweise mit Hauptsitz im Ausland – aus Deutschland heraus Waffen in Kriegsgebiete geliefert. Wenn wir von diesen Rüstungsexporteuren diejenigen betrachten, die börsennotiert sind, sehen wir, dass einige der größten Anteilseigner auch bereits unter den größten Aktionären der BDSV-Mitgliedsfirmen waren: Die Investoren Amundi, Blackrock, Capital Group, DWS, Fidelity, Harris Associates, Invesco, TCI, Vanguard und Wellington sowie die strategischen Anteilseigner BAIC, Kuwaits Staatsfonds und der französische Staat.

Daneben gibt es ein paar neue Großaktionäre: Die größten strategischen Anteilseigner der börsennotierten Firmen, die Waffen in Kriegsgebiete exportiert haben, sind das Land Niedersachsen; die Holding der Milliardärsfamilie Porsche-Piëch; der Staatsfonds Katars; der Autokonzern Volkswagen; der italienische Staat; die französische Milliardärsfamilie Dassault; die Holding des israelischen Milliardärs Federmann; und der Luftfahrt- und Rüstungskonzern Airbus. Die größten Investoren sind der norwegische Staatsfonds sowie – allesamt mit Sitz in den USA – der Vermögensverwalter Artisan Partners; die nach Börsenwert weltweit zweitgrößte Bank Bank of America; der Vermögensverwalter Columbia Threadneedle; der Fondsanbieter DFA; der Vermögensverwalter Geode; die nach Börsenwert weltweit größte Bank JP Morgan; der Vermögensverwalter Longview Asset Management; die Finanzberatungsfirma Managed Account Advisors; der Vermögensverwalter MFS; die Investmentbank Morgan Stanley; der Pensionsfonds Newport; die Investmentgesellschaft Sanders Capital; der Versicherungskonzern State Farm; die Großbank State Street; und der Vermögensverwalter T. Rowe Price.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich deutsche Rüstungsfirmen hauptsächlich über folgende Wege finanzieren: selbst einbehaltene Gewinne; Kredite lokaler, nationaler und internationaler Banken; die Investitionen ihrer Mutterkonzerne, häufig ausländische, börsennotierte Rüstungskonzerne, sowie die Finanzierung über den Verkauf neuer Aktien und Anleihen an den Kapitalmärkten, meist an Pensionskassen, Versicherungsgesellschaften, Kreditinstitute, Vermögensverwalter und Investmentfonds.
BDSV-Mitgliedsfirmen: https://www.bdsv.eu/über-uns/mitglieder.html
Atomwaffenhersteller: https://www.dontbankonthebomb.com/wp-content/uploads/2022/12/DBotB_Risky-Returns_FINAL_web_spread.pdf
Hersteller kontroverser Waffen: https://www.klp.no/en/corporate-responsibility-and-responsible-investments/exclusion-and-dialogue/Decision%20to%20exclude%20companies%20that%20produce%20controversial%20weapons.pdf
Finanzdaten: https://www.refinitiv.com/en/financial-data
Rüstungsexporteure: https://exitarms.org/filter?f%5B0%5D=supplier_string%3AGermany
Fair Finance Guide: https://www.fairfinanceguide.de/