Deutsche Börse Hauptversammlung 2024: Unsere Rede zum ISS ESG Rating

14 Mai 2024

Am 14. Mai 2024 fand die Hauptversammlung der Deutschen Börse Group statt. Für Facing Finance e.V. hat Luca Schiewe eine Rede gehalten und kritische Fragen an den Konzern gestellt:

 

Sehr geehrter Herr Aufsichtsratsvorsitzender Jetter,

sehr geehrter Herr Vorstandsvorsitzender Weimer,

Vielen Dank an alle Kleinaktionäre, die dem Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre ihre Stimmrechte übertragen haben. Vielen Dank an den Dachverband, dass ich hier für den Verein Facing Finance sprechen darf.

Ich will heute zu ISS sprechen, seit 2021 eine Tochterfirma der Deutschen Börse. ISS betreibt ein für die Zukunft wichtiges Geschäft. Sowohl die Stimmrechtsberatung institutioneller Investoren als auch die Bereitstellung ESG-bezogener Informationen, beispielsweise ESG und SDG scores, sind wichtige Geschäftsfelder für die künftige Finanzmarktinfrastruktur.

 

Zuerst zur Stimmrechtsberatung: ISS ist der größte Stimmrechtsberater der Welt und trägt damit eine große Verantwortung für das Funktionieren der Aktionärsdemokratie. In einer Zeit, in der die Aktionärsdemokratie unter Druck ist und z.B. ein Konzern wie Exxon seine eigenen Aktionäre juristisch verfolgen lässt, weil sie kritische Anträge für die Hauptversammlung einreichen, braucht es starke Stimmrechtsberatung von ISS.

Auf Hauptversammlungen werden immer weniger Anträge für Nachhaltigkeit angenommen. Das liegt nicht daran, dass die Qualität dieser Anträge gesunken sei, sondern daran, dass sich Konzerne stärker gegen Nachhaltigkeit wehren und Vermögensverwalter immer seltener für Nachhaltigkeit stimmen. Es mag in einzelnen Fällen auch gute Gründe dafür geben, warum ein institutioneller Investor einen dieser Anträge für Nachhaltigkeit zurecht ablehnt. Aber viele sehr gute Anträge, die gleichzeitig positiv für Umwelt und Menschen wären und die Risiken für Aktionäre senken würden, werden derzeit abgelehnt. Unter anderem auch weil ISS immer wieder empfiehlt, gegen Nachhaltigkeit zu stimmen.

Der Voting Matters Report 2023 von ShareAction analysiert 257 Aktionärsanträge auf Hauptversammlungen zu den drängendsten sozialen und ökologischen Problemen. Von diesen 257 Anträgen wurden nur 8 Stück angenommen, also grade mal 3%. Im Jahr 2021 wurden noch 21% dieser Anträge angenommen, im Jahr 2023 nur noch 3%. Der Hauptgrund dafür ist, dass einige Vermögensverwalter, darunter auch solche, die ISS als Stimmrechtsberater nutzen, immer seltener für Nachhaltigkeit stimmen.

Die vorgeschobenen Gründe der Vermögensverwalter sind meist vollkommen haltlos. So behaupten einige Vermögensverwalter, dass die Anträge zu prescripitve seien, also Firmenverhalten zu genau vorschreiben würden. Aber in der Realität haben ¾ dieser Anträge lediglich größere Transparenz und Offenlegung zu Nachhaltigkeitsthemen gefordert.

Einer der Gründe ist auch, dass ISS nur in 78% der Fälle empfohlen hat, für Soziales, Ökologisches und Transparenz zu stimmen. Dazu muss man sagen, dass ISS damit besser abschneidet als der zweitgrößte Stimmrechtsberater, Glass Lewis. Aber: Große Vermögensverwalter wie Amundi, Nordea, BNP Paribas, Robeco, Santander, Union Investment, HSBC, Generali oder Legal & General stimmten für 92 bis 98% der Anträge. Sie stimmten also viel häufiger für Soziales und Ökologisches als von ISS empfohlen. Das zeigt, dass ISS noch viel Luft nach oben hat.

Ein Beispiel: 2023 gab es einen Antrag, der den Öl- und Gaskonzern Shell aufforderte zu absoluter Emissionsreduzierung bis 2030 im Einklang mit dem Paris-Abkommen. ISS sagte damals, dass der Antrag mit der Analyse von ISS übereinstimme und empfahl trotzdem die Ablehnung des Antrags.

Für die Hauptversammlung von Shell in einer Woche haben 27 institutionelle Investoren und die NGO Follow This einen neuen Klimaantrag eingereicht. Dazu hat ISS eine Analyse veröffentlicht, in der ISS beschreibt, warum dieser Klimaantrag wichtig ist aufgrund der Dringlichkeit und Notwendigkeit für Emissionsreduzierung im aktuellen Jahrzehnt. Aber in der Abstimmungsempfehlung empfiehlt ISS, gegen die Resolution zu stimmen. Das wirkt unlogisch und widersprüchlich. Warum stimmt ISS in seiner Analyse einem Klimaantrag zu, empfiehlt dann aber die Ablehnung dieses Antrags?

Das einzige Argument, das ISS gegen die Resolution nennt, ist, dass sie zu Unsicherheit führen könne, da sie sich gegen die derzeitige Unternehmensstrategie von Shell richtet. Mit diesem Argument wäre generell kein Aktionärsantrag mehr möglich, der sich gegen die aktuelle Strategie des jeweiligen Unternehmens richtet. Wird ISS in Zukunft immer empfehlen, für die aktuelle Strategie des Managements zu stimmen und gegen Anträge, die eine Änderung der Unternehmensstrategie fordern?

 

Jetzt zum ISS ESG Corporate Rating: Dieses ESG-Rating folgt der doppelten Wesentlichkeit, umfasst also sowohl finanzielle Nachhaltigkeitsrisiken für die Firma als auch den Einfluss der Firma auf Umwelt und Gesellschaft. Erst kürzlich hat sich das EU-Parlament auf eine Regulierung von ESG-Ratinganbietern geeinigt. Einer der Kritikpunkte an ESG-Ratinganbietern ist mangelnde Transparenz. Nun beobachte ich den ESG-Ratingmarkt seit ein paar Jahren und muss anerkennen, dass sich die Transparenz von ESG-Ratings in den letzten 3 Jahren erheblich verbessert hat. Nichtsdestotrotz gibt es immer noch viel Luft nach oben, damit ESG-Ratings so transparent werden, wie es notwendig wäre für ihre Rolle für nachhaltige Finanzmärkte. Dazu ein paar Fragen:

Wann plant ISS, auf ihrer Homepage für jeden einsehbar separate E, S und G scores zu veröffentlichen statt lediglich eines einzelnen zusammengesetzten ESG scores?

ISS gibt an, für das ESG Corporate Rating ca. 700 Indikatoren zu verwenden. Im Beispiel, das in der Methodik gezeigt wird, werden allerdings lediglich 37 dieser 700 Indikatoren offengelegt. Wann plant ISS, eine vollständige Liste dieser 700 Indikatoren für jeden einsehbar zu veröffentlichen?

ISS legt bislang lediglich einen Teil seiner Primärquellen offen, darunter OECD reports, ILO databases, ganz generell media sources, ganz generell NGOs – ohne zu sagen welche NGOs konkretWann plant ISS, eine vollständige Liste aller Primärquellen, die im ESG Corporate Rating verwendet werden, für jeden einsehbar zu veröffentlichen?

ISS vergibt das ESG Corporate Rating auch für die Deutsche Börse, den eigenen Mutterkonzern. Wenn man sich das Rating der Deutschen Börse auf der ISS Homepage anschaut, dann findet sich da nirgendwo ein Hinweis, dass hier die Tochterfirma den eigenen Mutterkonzern bewertet. ISS hat zwar eine Policy on Non-Interference and Potential Conflicts of Interest Related to Deutsche Börse und auch im Code of Ethics von ISS wird der Umgang mit Interessenskonflikten zur Deutschen Börse geregelt. Aber sollte diese Information nicht auch auf der Homepage an der Stelle auftauchen, wo das Rating der Deutschen Börse veröffentlicht ist? Wann fügt ISS dort einen Hinweis ein, dass es sich hierbei um ein Rating für den eigenen Mutterkonzern handelt?

Das Gleiche gilt für die Firmen, die ISS in der Liste DB affiliated companies aufführt, also Firmen, die mit der Deutschen Börse verbunden sind. Wann fügt ISS bei den Ratings dieser Firmen einen entsprechenden Hinweis auf der Homepage ein, direkt unter diesen Ratings?

 

Wir haben kürzlich die Studie Beneath the surface: Do ESG ratings capture the risks and impacts of plastics? veröffentlicht. Die Studie zeigt, dass plastikbezogene Kriterien im ISS ESG Corporate Rating bislang nicht umfassend beachtet werden. Dabei hat ISS durchaus Expertise im Bereich Plastik, denn ISS hat bereits in der Vergangenheit den Solactive ISS ESG Beyond Plastic Waste Index sowie den Solactive ISS ESG Future of Plastic Index entwickelt.

Plastik birgt starke ökologische, soziale und finanzielle Risiken für Firmen. Damit Investoren diese Risiken erkennen können, müssen ESG-Ratinganbieter sie umfänglich in ihre Ratings integrieren. Daher hoffen wir, dass ISS in Zukunft ökologische, soziale und finanzielle Plastik-Risiken stärker in das ESG Corporate Rating integrieren wird. Dazu ein paar Fragen:

Gibt es Bestrebungen, Unternehmens-Treibhausgasemissionen, die in den verschiedenen Stufen der Plastikproduktion, z.B. Polymerproduktion und Rohmaterialextraktion, entstehen, im ISS ESG Corporate Rating zu integrieren?

Gibt es Bestrebungen, den Plastik-Fußabdruck von Firmen, also das Volumen an Plastikmaterial, das produziert, verwendet oder verkauft wird, im ISS ESG Corporate Rating zu integrieren?

Gibt es Bestrebungen, im ISS ESG Corporate Rating zu beachten, ob Firmen ihren Plastik-Fußabdruck korrekt messen und transparent offenlegen?

Gibt es Bestrebungen, im ISS ESG Corporate Rating zu beachten, ob Firmen in relevanten Industrien konkrete, messbare und zeitgebundene Ziele zur Reduktion von Einwegplastik implementieren?

Gibt es Bestrebungen, die sozialen Auswirkungen der Plastikaktivitäten von Firmen, z.B. wie vulnerable oder marginalisierte Gruppen disproportional betroffen sind und dadurch soziale Ungleichheiten verstärkt werden, im ISS ESG Corporate Rating zu integrieren?

 

Zuletzt noch eine kurze Frage zur Lieferkettengesetzgebung: Die EU hat entschieden, dass das Kerngeschäft des Finanzsektors erst einmal ausgenommen ist aus der CSDDD. Das heißt, dass ein Finanzinstitut zwar den Lieferanten seiner Bürostühle überprüfen muss aber nicht, ob es durch die Finanzierung einer südamerikanischen Mine zur Vertreibung lokaler Indigener beiträgt. Es gibt allerdings eine review clause, wonach in Zukunft nochmal neu entschieden wird, ob der Finanzsektor auch komplett in die CSDDD reinkommt. Was ist die Position der Deutschen Börse hierzu? Spricht sich die Deutsche Börse dafür aus, den Finanzsektor vollständig in die CSDDD aufzunehmen?

Vielen Dank im Voraus für das Beantworten meiner Fragen. Ich wünsche dem Deutsche Börse Konzern im Allgemeinen und ISS im Speziellen, samt allen Mitarbeitenden, ein gutes Geschäftsjahr.

 

Antworten der Deutsche Börse Group:

  • Frage zur Aufnahme des Finanzsektors in die CSDDD: Die Deutsche Börse beteiligt sich nicht an Spekulationen über künftige Gesetzgebung. Die review clause sieht vor, dass die EU-Kommission in den nächsten zwei Jahren die mögliche Aufnahme des Finanzsektors analysieren und diskutieren wird. Daher ist es jetzt zu früh, darüber zu spekulieren.
  • Frage zur Darstellung von Interessenskonflikten auf der ISS Website: Die Deutsche Börse bedankt sich für die Anmerkung zur Darstellung des ESG Ratings der Deutschen Börse auf der ISS Website. Die Deutsche Börse will das mit ISS besprechen und den Vorschlag zur besseren Darstellung potentieller Interessenskonflikte auf der ISS Website umsetzen.
  • Fragen zur Stimmrechtsempfehlung von ISS: Beim Kauf von ISS durch die Deutsche Börse wurde vereinbart, dass ISS große Unabhängigkeit von der Deutschen Börse haben wird. Daher kann die Deutsche Börse keine Aussagen treffen zur Stimmrechtsempfehlung von ISS, z.B. zum Klimaantrag bei Shell.
  • Fragen zur Integration von Plastik-bezogenen Kriterien: Aufgrund der Autonomie des Researchs von ISS kann die Deutsche Börse keine Aussagen treffen zur künftigen methodischen Entwicklung des ISS ESG Corporate Rating in Bezug zu Plastik.
  • Fragen zur Steigerung der Transparenz des ISS ESG Corporate Ratings: Es gibt aktuell keine Pläne, die vorgeschlagenen Punkte, z.B. Veröffentlichung der vollständigen Liste aller Primärquellen oder separate Darstellung von E, S und G scores, umzusetzen.

 

* Die Antworten beruhen auf unseren Mitschriften während der Hauptversammlung und sind nicht wörtlich, sondern von uns zusammengefasst worden.