ESG-Fonds auf Abwegen – Waffenexporte an Diktatoren jetzt „nachhaltig“?
Seit einiger Zeit lässt sich am Finanzsektor ein Backlash gegen Nachhaltigkeit beobachten: Vermögensverwalter verlassen Klimainitiativen, Banken verwässern ihre Richtlinien für Rüstung, Öl & Gas und die Politik schafft unter erheblichem Lobbydruck weitreichende Ausnahmen für Finanzunternehmen, wenn es um die unternehmerischen Achtungspflichten von Menschenrechten geht.
Ein Beispiel dafür sind ESG-Fonds, die neuerdings in Rüstung investieren. In Deutschland schlossen nachhaltig gelabelte Fonds Waffen früher aus. Zwar waren bereits vor dem Ukrainekrieg 2022 in manchen nachhaltig gelabelten Fonds Rüstungsproduzenten vertreten – aber nur solange deren Rüstungsumsatz unter 10% lag. Das ist z.B. der Fall bei einigen Stahl-, Luftfahrt- oder Autokonzernen, die auch eine Rüstungssparte haben. Seitdem sind die Investitionen europäischer ESG-Fonds (wobei ESG für Environment, Social, Governance steht), in Rüstung rasant gestiegen. Inzwischen investieren über zwei Drittel solcher Fonds in reine Waffenhersteller.
Aus der Tabuzone: Politik macht Rüstung ESG-tauglich
Die Politik unterstützt diese Entwicklung. Die EU-Verteidigungsstrategie 2024 und die Sicherheitsstrategie der Bundesregierung 2024 nennen Rüstung „nachhaltig“. Eine neue Leitlinie der EU-Aufsichtsbehörde ESMA erlaubt ESG-Fonds Investitionen in Rüstungsfirmen, solange diese keine geächteten Waffen – Landminen, Streubomben, Bio- und Chemiewaffen – herstellen. Daraufhin hob der Verband der deutschen Fondsanbieter die bisherige 10%-Umsatzgrenze für Rüstung in ESG-Fonds auf. Lobby-Kampagnen des Verbands der deutschen Rüstungsindustrie (BDSV) wie „Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit“ begleiten den Imagewechsel.
Die Rüstungsindustrie drängte bereits vor Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine darauf, als nachhaltiges Investment eingestuft zu werden. Dieser zeitliche Verlauf zeigt, dass es ihr nie um die angebliche „Verteidigung Europas gegen den Aggressor Putin“ ging. Tatsächlich lieferten europäische Rüstungsfirmen auch nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim weiter Waffen nach Russland.
Gleichzeitig wurde der Entwurf für eine Soziale Taxonomie (Katalog sozialer Wirtschaftsaktivitäten), der Rüstung als nicht nachhaltig eingestuft hätte, beerdigt. Die Lobby setzte sich durch: Rüstungsfirmen, die keine geächteten Waffen herstellen, dürfen als nachhaltig gelten. Diese rüstungsfreundliche Definition schließt lediglich Landminen, Streubomben, Bio- und Chemiewaffen aus. Andere kontroverse Waffen wie Atomwaffen oder Phosphorbomben werden nicht ausgeschlossen.
Die Mythen der Rüstungslobby
Befeuert werden diese politischen Entwicklungen von der Rüstungslobby. Doch ihre zentralen Behauptungen sind Mythen:
Mythos 1: „ESG-Regeln erschweren die Rüstungsfinanzierung.“
→ Rüstungsfirmen finanzieren sich über Staatsaufträge, Bankkredite und Anleiheverkäufe. Finanzierungen waren bei fast allen Finanzinstituten stets verfügbar. Nur Hersteller geächteter Waffen wurden tatsächlich aus ESG-Gründen im Finanzsektor häufig ausgeschlossen. Rüstungsfirmen, die konventionelle Waffen und keine geächteten Waffen herstellen, hatten wegen ESG-Regeln nie Probleme, Kapital zu erhalten.
Hinzu kommt, dass ESG-Fonds nur Aktien am Sekundärmarkt kaufen, wobei die entsprechenden Firmen kein Geld erhalten. Der Kauf von Rüstungsaktien durch ESG-Fonds am Sekundärmarkt trägt nicht zur direkten Finanzierung dieser Unternehmen bei, außerdem spielen sie über Fonds ohne Nachhaltigkeitslabel schon genug Investitionen ein.
Mythos 2: „Die Rüstungsindustrie ist nachhaltig, weil sie europäische Demokratien schützt.“
→ Aus Nachhaltigkeitsperspektive steht die Rüstungsindustrie auf wackeligem Fundament, da sie den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) sowie dem Do-No-Significant-Harm-Prinzip (DNSH) widerspricht, wonach eine nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit keinem der Umweltziele der EU-Taxonomie erheblich schaden darf. Rüstungsproduktion verursacht erhebliche Umweltschäden, fördert Konflikte und trägt zur Zerstörung von Ökosystemen und Infrastruktur bei.
Selbst wenn man der Argumentation der Branche folgt, offenbart die ExitArms-Datenbank: Europäische Rüstungsproduzenten exportieren regelmäßig in völkerrechtswidrige Kriege. Wenn Finanzinstitute tatsächlich den Schutz europäischer Demokratien zum Ziel hätten, bräuchten sie Vorgaben, dass Rüstungsfirmen für die EU-Landesverteidigung produzieren sollen statt für Kriege und Diktaturen weltweit. Da sie solche Vorgaben nicht haben und weiter investieren in Firmen, die völkerrechtswidrige Kriege beliefern, ist ihre Argumentation unglaubwürdig.
Die Faire-Fonds-Datenbank zeigt: Fonds wie der Amundi CAC 40 ESG UCITS ETF investieren in Airbus, Safran und Thales – alle liefern Waffen an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten wie Ägypten, Irak, Israel, Katar, Saudi-Arabien, Türkei, VAE, Venezuela. Auch der Fonds Debeka-Aktien-Global-ESG investiert in Airbus, sowie in Eaton, GE Aerospace und Honeywell, die Rüstungsgüter in Kriege weltweit exportieren: Gaza, Jemen, Libyen, Nigeria, Sudan, Syrien.
Die Spaltung der Fondsanbieter
Hinter dem ESG-Schwenk stehen vermutlich eher Renditeerwartungen aufgrund staatlicher Aufrüstungspläne: Rüstungsaktien boomen seit 2022. Deshalb fürchten einige ESG-Fondsmanager, bei der Rendite hinter konventionellen Benchmarks zurückzufallen. Einige Fondsanbieter wie UBS, Allianz Global Investors oder die Deutsche Bank Tochter DWS springen auf den Trend auf und haben ihre nachhaltig gelabelten Fonds teilweise für Rüstungsfirmen geöffnet. Deka und Union Investment, die Fondshäuser der Sparkassen und Volksbanken, investieren weiterhin über konventionelle Fonds in Rüstung, nicht aber über ESG-Fonds. Ein paar kleine nachhaltig ausgerichtete Fondsanbieter schließen Rüstung weiterhin aus oder setzen sich bei Rüstungsfirmen als aktive Aktionäre gegen Exporte an autoritäre Regime ein.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass es einigen Finanzinstituten nie wirklich um Nachhaltigkeit ging. Vielmehr nutzten sie den ESG-Trend der Jahre 2019 bis 2021, weil er sich gut verkaufen ließ. Jetzt springen sie auf den nächsten Zug auf. Monatlich bringen sie neue Rüstungsfonds und -ETFs auf den Markt.
Menschenrechtliche Risikoanalyse? Fehlanzeige
Für die meisten Finanzinstitute sind Menschenrechte dabei ein blinder Fleck. Bei der ESG-Bewertung prüfen sie nur, was ein Rüstungsunternehmen produziert (konventionelle oder geächtete Waffen) und wie es produziert (z.B. CO2-Ausstoß) – aber nicht, an wen es liefert. Dabei wäre das entscheidend, um menschenrechtliche Risiken (z.B. völkerrechtswidrige Kriege, Kriegsverbrechen, Unrechtsregime) im Einklang mit internationalen Standards zu prüfen.
Tatsächlich liefern die allermeisten börsennotierten Rüstungsfirmen Waffen für Diktatoren und Angriffskriege. Trotzdem erhalten sie von Banken fast immer allgemeine Unternehmenskredite, deren Mittel sie beliebig einsetzen können – auch für Exporte in völkerrechtswidrige Kriege. Dabei hätten Banken auch die Möglichkeit, stattdessen zweckgebundene Finanzierungen zu vergeben, die explizit nur für die Ausrüstung europäischer Armeen verwendet werden dürfen.
Wer in Rüstung investieren will, kann das tun. Aber warum sollte ausgerechnet „nachhaltiges“ Kapital in Waffen fließen? ESG-Fonds hatten schon vorher ein Glaubwürdigkeits-Problem. Rüstung als nachhaltig zu labeln, verschärft das bestehende Problem von Greenwashing, irreführenden Labels und der Kluft zwischen Erwartung der Anleger und Realität. Dass Menschen einst gezielt einen als nachhaltig vermarkteten Fonds ohne Rüstung gekauft haben und dieser jetzt doch in Rüstung investiert, lässt das Vertrauen in ESG-Fonds weiter sinken. Wer wirklich nachhaltig investieren will – ohne irreführende Labels – findet alle Infos in unserer Schritt-für-Schritt-Anleitung.
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